Kanalreduktion

2.2.1 Kanalreduktion

Die Theorie der Kanalreduktion bezieht sich auf die konkreten Kanaleigenschaften von Medien. In Abhängigkeit vom verwendeten Medium stehen den Kommunikationsteilnehmern mehr oder weniger Kanäle für die Kommunikation zur Verfügung. Im Wesentlichen gibt es den visuellen, nonverbalen, taktilen, auditiven und den Textkanal (vgl. Köhler 2003: 27)⁠.

In den Anfangsjahren der Computernetze waren die Möglichkeiten der CviK sehr beschränkt. Zumeist standen textbasierte, asynchrone Dienste wie E-Mail und Usenet zur Verfügung sowie beispielsweise IRC als Vertreter synchroner Kommunikationsdienste. Textbasierte Kommunikation ist jedoch relativ kanalarm. So ist weder ein visueller, auditiver, nonverbaler oder taktiler Kanal vorhanden. So verwundert es nicht, dass CviK seitens der Wissenschaft mit negativen Attributen belegt wurde. Aufgrund der Kanalreduktion auf der physikalischen Reizebene, wurde eine Verarmung der Kommunikation auf der psycho-sozialen Ebene angenommen.

„Ent-Sinnlichung, Ent-Emotionalisierung, Ent-Kontextualisierung und sogar Ent-Menschlichung sind Stichworte, die den defizitären Charakter der textbasierten bzw. kanalreduzierten Telekommunikation kennzeichnen sollen (Bleuel, 1984; Eurich, 1983; Kubicek & Rolf, 1986, S. 263ff.; Mettler-von Meibom, 1994, S. 18f.; Volpert, 1985, S. 94). Da computerbasierte Kommunikation nicht nur auf den Textkanal reduziert ist, sondern auch zwischen geographischen Distanzen vermittelt und asynchron stattfinden kann, kommen zur Ent-Sinnlichung noch Ent-Räumlichung und Ent-Zeitlichung hinzu (Hermann, 1994). Diese Entleerung der Kommunikation wird umfassend als Ent-Wirklichung tituliert (Raulet, 1992, S. 54) […] .“(Döring 2003: 149)

Zwar können bei der CviK individuelle, subjektive Eindrücke dieser Art entstehen, es kann jedoch bezweifelt werden, dass durch die computervermittelte Kommunikation Raum, Zeit oder Wirklichkeit aufgehoben werden können. Der Bezug auf diese Größen ist zwar nicht für das Zustandekommen der Kommunikation relevant, jedoch kann beispielsweise der Aufenthaltsort als ein zumindest temporäres Identifikationsmerkmal der Kommunikationsteilnehmer fungieren. Aus einer Studie zum Nutzerverhalten im Instant Messaging Netzwerk MSN geht hervor, dass durchaus räumliche Grenzen auch in der Kommunikation via Internet existieren. Dies zeigt sich vor allem in Form sprachlicher Barrieren. So haben beispielsweise Kommunikationspartner bis zu 20 Konversationen in ihrer Sprache gleichzeitig geführt. Die Anzahl der Konversationen mit weit entfernten Partnern nahm aufgrund des gesteigerten Aufmerksamkeitsbedarfs wegen der sprachlichen Unterschiede rapide ab. Auch wurde die Aufmerksamkeit mehr auf diese fremdsprachigen Unterhaltungen fokussiert und daher kaum mehrere Konversationen gleichzeitig geführt (vgl. Leskovec & Horvitz 2008)⁠.

Als Beleg für die Kommunikationsverarmung bzw. „Ent-Wirklichung“ wird vielfach das Beispiel der Enttäuschung, welche „Netzbekannte“ bei einem ftf Treffen gelegentlich erleben, angeführt. Die Enttäuschung resultiert daraus, dass sich Kommunikationspartner bei der CviK nicht „wirklich“ kennen lernen, da bewusst oder unbewusst wesentliche Informationen vorenthalten werden. Dem können jedoch entgegengesetzte Erfahrungen gegenüber gestellt werden. Teilweise entstehen aus solchen Netzbekanntschaften dauerhafte Freundschaften, die aufgrund von Vorurteilen, Kategorisierung und Stereotypisierung bei einem ersten Kennenlernen in einer ftf Situation oder räumlicher Distanz nie zustande gekommen wären (vgl. Döring 2003: 152)⁠.

Der technikdeterministischen Betrachtungsweise lassen sich auch Kompensationsmöglichkeiten entgegen stellen. So können durch die Verwendung von Substituten, Sound-Wörtern und Emoticons die Beschränkungen teilweise kompensiert werden. Eine vollständige Kompensation ist allein schon deshalb nicht möglich, weil viele Informationen bei der ftf Kommunikation unbewusst ausgesendet werden und bei der textbasierten CviK bewusst übermittelt werden müssen. Empirisch ließ sich eine pauschale emotionale Abkühlung der Kommunikation in Langzeit-Feldstudien und Szenarien jedoch nicht nachweisen (vgl. Walther, Anderson & Park 1994)⁠.

Ist der Kommunikationsinhalt problem- oder lösungsorientiert, wie beispielsweise bei virtuellen Teams, relativieren sich die bisher genannten Kritikpunkte an der CviK. Insbesondere dann, wenn die Medienwahl rational getroffen wurde und das gewählte Medium die Kommunikationsbedürfnisse der Teilnehmer erfüllt.
Aufgrund der technischen Entwicklung bei den Kompressionsverfahren und höheren Datenraten bei Internetanbindungen lassen sich IP-basierte Videokonferenzen schon mit geringem Aufwand realisieren1. Damit stehen deutlich mehr mediale Kanäle, insbesondere der auditive und visuelle Kanal, für die Kommunikation zur Verfügung, was eine Annäherung an die ftf Kommunikation bedeutet.

Kaiser, A. (2011): Social Virtuality – Strukturen, Dynamik, Analyse und Simulation in sozialen virtuellen Netzwerken (1. Aufl.). Herzogenrath: Shaker Verlag

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Informatiker (Dipl-Inform (FH) & MSc.), Analyst (SNA) und Fachbuchautor
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